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Halbfinalgegner München: Das bayrische Powerhaus

Münchens Toni Söderholm - Foto: Andreas Dick

Auf die Kölner Haie wartet im Halbfinale ein neues Kaliber an Gegner. Der EHC Red Bull München mit Don Jackson hinter der Bande stellt eine neue Herausforderung für Cory Clouston und sein Team dar, denn bei den Bayern läuft einiges anders als beim Viertelfinalgegner aus Berlin.

Die Eisbären haben eine solide, aber unspektakuläre Serie gegen den KEC abgeliefert. Einzig Goalie Petri Vehanen sorgte bei einigen seiner Paraden für „Wow“-Momente. Ansonsten blieb die Leistung der Hauptstädter eher hausbacken. Es fehlte das außergewöhnliche Element in ihrem Spiel, das mal zu einem besonderen Moment hätte führen können. Es sind solche Momente, die ein Team inspirieren und über das Normalniveau hinaus zu heben vermögen. Petr Pohl ließ als einziger Feldspieler gelegentlich Kreativität über den Standard hinaus aufblitzen. Es brauchte echte Durchhänger des KEC, wie sie sich die Mannschaft von Cory Clouston in schlechtester Manier in den Spielen 3 und 5 leistete, um den Eisbären Tore zu ermöglichen. Blieben die Haie in ihrem System, reduzierte sich die Anzahl echter Eisbären-Torchancen signifikant.

Auch beim Coaching blieben die Berliner Antworten schuldig. Uwe Krupp hielt durch die komplette Serie an seinen Reihen und seinen Matchups fest, obwohl besonders seine erste Reihe durch alle sieben Spiele hindurch nie wirklich Fahrt aufgenommen hatte. Von Coaching-Seite blieben Impulse für die Mannschaft aus. Schwächen und Fehler – speziell in der Defensive – wurden nicht adressiert. Zudem untermauerten ganze drei Powerplay-Tore aus 29 Gelegenheiten die Abschlussschwäche im Spiel der Berliner.

Mit einem Kader, der nicht nur vom Budget her in der gleichen Region wie der der Haie anzusiedeln ist sondern auch komplett gesund ins Viertelfinale gegangen war, war das gegen einen KEC, der aufgrund von Verletzungsausfällen ohne etatmäßigen 1. Reihe-Center und mit zwei Verteidigern auf den Flügeln der vierten Reihe agieren musste, in der Summe zu wenig.

Vieles, nein, sogar alles davon ist von den Münchnern in einer anderen Qualität zu erwarten.

Der EHC agiert aus einer sehr soliden Defensive heraus. Ganze 129 Schüsse auf ihr Tor und nur vier Gegentore haben die „Roten Bullen“ in ihren fünf Viertelfinalspielen zugelassen. Münchens Goalie David Leggio brillierte zudem mit einer Fangquote von 97%. Dazu kommt die Offensiv-Gefahr, die von der Blauen Linie des EHC ausgeht. Tat sich bei den Eisbären hier vorrangig Micky DuPont hervor, haben die Münchner mit Toni Söderholm, Daryl Boyle, Frédéric St. Denis und Konrad Abeltshauser deutlich mehr Durchschlagskraft aufzubieten. Doch nicht nur ihre Schüsse machen die EHC-Verteidiger zu einem existentiellen Bestandteil der Offensive, sondern auch ihr Einschreiten im Forecheck. Bei den Münchnern ist das Pinchen die Norm, nicht die Ausnahme. Die Verteidiger halten den Druck nach einem Scheibenverlust in der Offensivzone extrem hoch.

Zudem bringen die ersten beiden Sturmformationen der Münchner mehr Kreativpotential aufs Eis als die Eisbären. Jason Jaffray mit Michael Wolf sowie Dominik Kahun und Mads Christensen sind immer mal für einen außergewöhnlichen Spielzug gut. Die können mehr als solide Hausmannskost. Aber auch Reihe drei und vier sind gut besetzt.

Wo bei den Eisbären vorrangig Mark Bell und Mark Olver die Unruhestifter waren, haben die Münchner auch hier ein anderes Kaliber aufzubieten: Steve Pinizzotto. Der Deutsch-Kanadier, dessen komplette Karriere auf seiner Fähigkeit aufbaut, Gegnern unter die Haut zu gehen, hatte es in den ersten vier Spielen der Viertelfinalserie bereits auf zwei große Strafen gebracht und war deswegen in Spiel 5 gesperrt. In die Serie gegen die Haie startet er also wieder mit weißer Weste – und die wird er auf einem anderen Niveau ausreizen als das die Eisbären-Agitatoren vermochten.

Und über all das gut zusammengestellte Personal regiert EHC-Headcoach Don Jackson, der in seinen sechs Jahren bei den Eisbären Berlin fünf DEL-Meisterschaften holte. Kurz: Der weiß, wie es geht. In dem 59-Jährigen findet Cory Clouston ein Gegenüber auf Augenhöhe und mit einem ebenso ausgeprägten Erfahrungsschatz. Auch Jacksons Teams zeichnen sich dadurch aus, präzise und bis ins Detail auf den Gegner vorbereitet zu sein. Zudem hatte sein Team nach dem schnellen 4:1-Sieg in der Serie gegen Straubing fünf Tage Pause, bis sie ihren Halbfinalgegner zu Spiel 1 auf eigenem Eis – also ohne Reisestress, in gewohnter Umgebung und vor den eigenen Fans – empfangen.

Für die Haie ging es nach Spiel 7 am Montagabend zurück nach Köln und ohne jegliche Verschnaufpause am Dienstag weiter nach München. Dabei hat die Mannschaft von Cory Clouston ohnehin schon doppelt so viele Playoff-Spiele in den Knochen wie der EHC. Wo nichts mehr im Tank ist, muss es über den Willen gehen. Den haben die Haie im Viertelfinale bewiesen.

Die Mannschaft ist durch ihre beiden Playoff-Serien auf einem hohen Niveau angekommen. Die erste Reihe mit viel Speed, herausragender Chemie und Torgefahr. Die zweite Reihe mit Kreativität und Unberechenbarkeit für den Gegner. Die dritte Reihe, die mit viel Biss und Leidenschaft ihre Rolle übernimmt. Die vierte Reihe mit bravouröser Defensivarbeit und viel Physis. Das Penaltykilling gut abgestimmt und effektiv. Das Powerplay mit Tendenz nach oben.

Doch ob es gegen den Tabellenersten reicht, hängt auch von weichen Faktoren ab. Wer hat die besseren Nerven, das stabilere Selbstbewusstsein, den größeren Siegeswillen? Die Haie haben auf jeden Fall Blut geleckt. Das Erfolgserlebnis gegen die Eisbären soll noch nicht der letzte Jubelmoment in der Saison gewesen sein. Niemand in den Reihen des KEC ist mit dem Halbfinaleinzug satt oder zufrieden. Ryan Jones kommentierte deshalb auch sehr nüchtern: „Wir haben noch nichts erreicht.“

Das Halbfinale gegen den EHC Red Bull München startet am Mittwoch, den 30. März. Erstes Bully ist um 19:30 Uhr. Wir übertragen die Partie live ab 19:15 Uhr.

Über den Autor: Henrike Wöbking

Henrike schreibt für haimspiel.de seit 2005 und wurde von Ex-NHL-Spieler Jason Marshall gelobt für "the best interview I ever did". Sie zeigte sich hauptverantwortlich für das Abschiedsvideo von Dave McLlwain. Außerdem ist sie Buchautorin und schrieb den Roman "Auf Eis" vor dem Hintergrund der Playoffs 2002.

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