Unabhängiges Magazin seit 2003 – Eishockey. Kölner Haie. Köln. DEL.

Hinweis: Dieser Artikel ist älter als sechs Monate. Um immer auf dem aktuellen Stand zu sein nutzt du:

Aktuelle Informationen findest du auf unserer Startseite »

Vom Versagen des Sportstudios

Moritz Müller im Interview mit 1LIVE. Foto: Basti Sevastos.
Moritz Müller im Interview mit 1LIVE. Foto: Basti Sevastos.

Die Medienberichterstattung über den Eishockeysport hat ein bisher unerreichtes Niveau erreicht: Wir leben heute in einem Paradies für Eishockeyfans. Hätte man etwa im Jahr 2011 Fans erklärt, sie würden für 10 Euro im Monat alle DEL-Spiele in einer guten Qualität auf den Bildschirm gebracht bekommen – man wäre ausgelacht worden. Trotzdem fällt die Kritik Moritz Müllers am ZDF auf fruchtbaren Boden. Der Kapitän der Kölner Haie hatte im Nachgang des Wintergames kritisiert, dass im Sportstudio das Eishockey-Spektakel keinerlei Erwähnung fand. Mit seiner Kritik hat er Recht und das ZDF hat in seinem Erklärungsversuch Unrecht. Doch Eines nach dem Anderen.

Im Streaming-Paradies gibt es alles

Halten wir zunächst fest: Die Welt des Eishockeys ist eine Welt in der Nische und in dieser wird Umsatz gemacht. Einst war es das Pay-TV, was in Form von Premiere, dann SKY als goldenes Kalb zur Refinanzierung des Sports gefeiert wurde. Letztlich führte es doch nur zur größeren Abschottung des Sports. Dann musste mit ServusTV ein österreichischer Sender dem deutschen Markt vormachen, welche Qualität Eishockeyübertragungen in Europa in diesem Jahrtausend haben können.

Doch wurden stets nur einzelne Spiele übertragen. Wer nicht ausgewählt wurde, „guckte in die Röhre.“ Diese Lücke füllten erst Liveticker, dann Fanradios wie Haimspiel.de, die von allen Spielen berichteten.

Alles Wegbereiter für die Deutsche Telekom, die die Nische zum Geschäftsmodell machte und mit dem Angebot, jedes DEL-Spiel zu übertragen, alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Und das nicht nur mit dem Eishockey, auch mit einer der anderen Nischensportarten, dem Basketball. Die Werbeblöcke während jeder Übertragung erinnern den Zuschauer daran, dass beide Sportarten ein ähnliches Schicksal teilen.

Es wird heute so viel Sport übertragen wie noch nie und das auf einem absolut adäquaten Niveau. Und doch reicht das Moritz Müller noch nicht. Warum ist das so? Warum begnügen sich Müller, aber auch etwa DEB-Präsident Reindl nicht mit den Sequenzen, die – ergänzend zum Telekom-Angebot – etwa im “Morgenmagazin” gesendet werden? Weil das Sportstudio des ZDF und sein ARD-Gegenpart, die Sportschau, immer noch die große Bühne sind. Weil beide Sendungen die “großen Namen” sind. Weil Namen verpflichten.

Dieser Verpflichtung, aber auch ihrem eigentlichen Auftrag, kommen beide nicht nach. Es gilt aber nach wie vor auch: Die öffentlich-rechtliche Bühne bedeutet Präsenz für Sponsoren, die den Sport finanzieren. Ein stark von ARD und ZDF übertragener Sport ist ein von Insolvenzen weitgehend gefeiter Sport.

Gebührenakzeptanz durch das Vehikel Fußball?

Neu ist die Kritik wahrlich nicht. Die Bandbreite der in den „großen Sportsendungen“ von ARD und ZDF dargestellten Sportarten ist gering. Und wenn über Breite berichtet wird, dann entweder entstellend kurz oder in einer Form, als ob aus einer Art Kuriositätenkabinett berichtet würde. Im Eishockey gerne, wenn es einen überharten Check oder eine große Schlägerei auf dem Eis gegeben hatte.

Dieser Umstand fällt nicht vom Himmel, sondern ist programmpolitisch so gewollt. Die öffentlich-rechtlichen Sender, die nicht nach der Quote schielen und eine gegebene Pluralität abbilden sollten, schielen nach der Quote und präsentieren eine absolute Monokultur. Als einzige Ausnahme fungieren „Feigenblattsportarten“ und die Olympischen Spiele als einziges Zeitfenster, in dem viele Sportarten Platz eingeräumt bekommen.

Als die Sportschau 2011 50 Jahre alt wurde, geschah etwas Seltsames. Die ARD publizierte einen Beitrag, der die Entwicklung der Sportschau feierte und die F.A.Z. hielt fest: „Was waren das noch für Zeiten, als hier die Stammbäume von Rennpferden bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt wurden: Die ARD zeigt, wie ihre „Sportschau“ zur Fußballshow wurde.“

Die Gründungsidee, ein „Nest für den Sport“ oder ein „Schaufenster für den Sport“ zu schaffen, taten die Verantwortlichen schon 2011 ab. Die F.A.Z. zitierte Reinhold Beckmann, der „ein komisches Gesicht zog“ und fragte: „Die vermatschten Menschen. Wo sind sie geblieben? Ich weiß gar nicht, ob es Querfeldeinfahrer noch gibt.“

Trauma Rechteverlust

Dass die Breite des Sports aus dem Programm gedrängt wurde, hängt mit einem traumatischen Erlebnis der öffentlich-rechtlichen Medien zu tun: Dem Verlust der Bundesligarechte an Sat.1. „Eine schwere Zeit“ sei es gewesen, so werden Verantwortliche zitiert.

In der Folge wurde der Privatsender massiv überboten, um die Rechte und den Fußball zurück zu den öffentlich-rechtlichen Medien zu holen – mit erstmals wirklich großen Summen. Eine Überkompensation, die Monika Piel, damals WDR-Intendantin, in ein groteskes Licht rückte:

„Das hat etwas mit Gebührenakzeptanz zu tun. Wer die Gebühr zahlt, möchte auch seinen Lieblingssport sehen. Es ist eines der Programmangebote, bei dem wir auch junges Publikum erreichen.“ Gleichzeitig hielt sie aber damals fest, dass eine Übertragung der Olympischen Spiele nicht zwingend erforderlich sei: „Das ist eine reine Geldfrage.“

Spannungsfeld zwischen Quote und Auftrag

Im oben genannte Jahr 2011 erfolgte der bisher letzte große Widerstand gegen die Politik von ARD und ZDF. Topathleten der deutschen Leichtathletik schrieben offene Briefe an die TV-Intendanten von ARD und ZDF, an Bundeskanzlerin Merkel, an Bundesinnenminister de Maizière, die Ministerpräsidenten und Sportminister der Länder.

“Angesichts der immer weiter steigenden Kosten für Fußballrechte befürchten wir bei gleichbleibendem Gebührenaufkommen, dass die Sportarten jenseits des Fußballs mehr und mehr aus den Programminhalten des Hauptprogramms von ARD und ZDF gedrängt werden”, so steht in dem Brief etwa zu lesen.

„Meiner Meinung nach dürfen sich die öffentlich-rechtlichen Sender nicht allein nach der Einschaltquote richten. ARD und ZDF sind von einem Gleichgewicht zwischen populären Sportarten wie Fußball und anderen Sportarten weit entfernt“, so Oliver Palme ebenfalls 2011, damals „TV-Koordinator des Deutschen Ruderverbandes (DRV)“. Verantwortliche des Volleyballs, Basketballs, Schwimmens oder Tischtennis schlossen sich der Kritik an.

Aus Reindls Mund klingt das nach der aktuellen Kritik von Müller am ZDF so: “Als öffentlich-rechtlicher Sender hat man ja auch eine Verpflichtung.”

Der vergessene Bildungsauftrag

Robert Harting erneuerte und erweiterte die Kritik im Jahr 2012: „Die Kinder und der Nachwuchs müssen Interesse bekommen. Das bekommen sie nicht, wenn im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur noch Fußball gezeigt wird. Da fließen Milliarden rein, das sind ja unsere Gelder. Aber eine breite sportkulturelle Bildung findet nicht mehr statt.”

Und er ergänzte (leider) völlig richtig: “Kinder lernen Sportarten wie Judo oder Leichtathletik heute oft nicht mehr kennen, weil auch Grundschullehrer im Sportunterricht nur noch Fußball spielen lassen.”

Schüler, die in der Grundschule keinen “Sport” mögen, weil sie “Sport” mit “Fußball” gleichsetzen sind Realität. Schüler, die in der 5. Klasse ankommen, ohne schwimmen zu können, sind Realität. Schüler, die nicht rückwärts laufen oder eine Rolle vorwärts absolvieren können ebenfalls. Turngeräte halten sie für Folterinstrumente und einen Stock (Floorball, Hockey etc.) hatten sie nie in der Hand.

Fußball aber, den kennen sie alle und das können sie alle spielen. Warum ist das so? Monokausale Antworten genügen hier nicht. Natürlich können immer teurer werdende oder weggesparte Schwimmbäder selbstredend nicht die Schwimmfähigkeit der Schüler verbessern. Aber die Omnipräsenz des Fußballs trägt definitiv ebenfalls einen gewichtigen Teil hierzu bei. Zumal eine Höherbewertung des Fußballs gegenüber den anderen Sportarten transportiert wird. Aber was, wenn das Kind keinen Zugang zum Fußball findet?

Die Bandbreite der Pluralität darzustellen ist unerlässlich, will man eine Trendwende einläuten und eine (wieder) gesündere Jugend erziehen. Medienpolitische Entscheidungen führen zu Konsequenzen, die reflektiert und gegebenenfalls korrigiert werden müssen. Sonst kann keiner der Verantwortlichen seine Hände rein waschen, denn an ihren Händen klebt auch – wenn schon nicht das Blut – das Fett unserer Kinder.

Auftrag Fußball am Pranger – zu Unrecht

Schaltet man am Wochenende den Fernseher ein, kann man sich dem Eindruck „Sport = Fußball“ kaum erwehren. Selbst Fußball der dritten Liga erhält exklusive Sendeplätze, ergo: wird höher bewertet als nahezu alle anderen Sportarten, die in der reinen Ergebnis- oder 10-Sekünder-Berichterstattung verschwinden. Und das quer durch alle Programme des öffentlich-rechtlichen Panoramas.

Die Sportschau, die zunächst ohne Fußball auskam, berichtete über des Deutschen liebste Sportart lange Jahre nur kurz und knapp. Über viele Jahrzehnte befürchtete der Fußball, eine intensive Berichterstattung im Fernsehen würde in den Stadien Zuschauer kosten.

Seit die Rechte wieder im öffentlich-rechtlichen Haus waren, sind jedoch alle Hemmungen gefallen und es wird berichtet, was die Premium-Sendezeiten hergeben. Oder wie die „Westfälische Rundschau“ es nannte: Die ARD kann „endlich wieder so berichten, wie ihr Chef es gerne hat.“

Doch: Kann der Fußball etwas für diese Entwicklung? Die Antwort ist: Nein. Jede Sportart versucht, für sich die besten Entwicklungsmöglichkeiten zu generieren. Das ist nicht verwerflich.

Dass die Spirale, die seit 2003 völlig ungehemmt immer weitergedreht wird, überzogen ist und überhitzt, kann aber niemandem verborgen bleiben. Das sieht selbst Marco Bode, früherer Nationalspieler und Aufsichtsratschef von Werder Bremen, im August 2018 so: „Ich denke, dass die öffentlich-rechtlichen Sender sich stärker um andere Sportarten kümmern müssten.“

„Mit dieser Forderung schieße ich als Fußball-Verantwortlicher vielleicht ein Eigentor. Denn wir sind natürlich froh, dass der Fußball so populär ist. Andererseits haben öffentlich-rechtliche Sender einen gesellschaftlichen Auftrag und sollten deshalb auch andere Sportarten zeigen. ARD und ZDF sollten anders als die privaten Sender nicht so sehr auf die Quoten schauen.“

Teufelskreis und Schuldfrage

„Der hoch kommerzialisierte Fußball macht andere Sportarten klein“, so Bode. Dem Fußball sei das aber nicht vorzuwerfen, denn die Popularität sei nun mal da. Dies ist eine knappe, aber treffende Analyse.

Es ist einfach und doch perfide. Als erstmals große Gelder für Fußballberichterstattung gezahlt wurden, verlangten diese nach Rechtfertigung in Form von groß angelegter Nutzung der Rechte. Die große Nutzung der Rechte führte zu mehr Interessierten, die wiederum nach mehr Fußball verlangten. Der Gipfel dieses Teufelskreises war der (dekadente) Erwerb der Champions League-Rechte bei gleichzeitigem Verzicht auf die Übertragung anderer Sportevents, welche nur einen Bruchteil gekostet hätten. Die Konsequenz: Eine Diskussion um eine Quote für Randsportarten.

Immer mehr Event, immer mehr „Massenphänomene“, immer bessere Quoten (zum Beispiel bei Weltmeisterschaften) und immer teurere Rechte generierten Wachstum und bedingen sich gegenseitig. Doch Wachstum erfolgt immer auf Kosten von Dritten. Ohne Ressourcen ist Wachstum nicht möglich. Das Wachstum des Fußballs im Medienzirkus geht auf Kosten der anderen Sportarten.

Am Ende einer solchen – post-kapitalistisch anmutenden – Entwicklung dominiert eine Sportart das Modell, während alle anderen Sportarten nur in ihren Nischen existieren bzw. vegetieren können.

Wenn das Argument ist, dass die Sportprogramme von ARD und ZDF die Quote bedienen müssen, so haben sie sich ihre eigene Klientel aufgebaut, statt in der Breite zu senden. Und das ist ein Problem für jede Sportart, die nicht Fußball heißt.

Feigenblätter und Ansätze

Für fast jede Sportart. Denn um das Generieren von Ausreden ist niemand verlegen. Die stundenlangen Übertragungen von Biathlon, Skispringen und der Tour de France sorgen dafür, dass im Gesamtjahresschnitt der Fußball keine dominierende Rolle mehr spielt. Im Jahr 2015 entfielen von 372 Stunden Livesport ganze 208 Stunden auf den Wintersport und seine zeitintensive Darstellung.

Die singuläre Beachtung des Eishockeysports durch die öffentlich-rechtlichen Medien ist analog der Logik der Nachwuchsförderung im deutschen Eishockey zu verstehen. Wenn die Menschen an den entsprechenden Stellen wollen würden, dann wäre sehr viel möglich. Einzig: Hierzu ist niemand bereit. Und je weiter die oben beschriebene Entwicklung fortgeschritten ist, desto weniger werden Verantwortliche hierzu bereit sein.

Einzig an der Quote kann es nicht liegen, denn auch die Randsportarten liefern überraschend gute Quote (siehe z.B. hier).  Doch man muss sie wirklich darstellen wollen, denn es gibt nicht nur Höhepunkte, sondern es braucht auch einen langen Atem. Hierfür muss man investieren und darf den Sport nicht dann fallenlassen, wenn es einmal nicht optimal läuft und der „Hype“ vorbei ist.

Von Helden und kurzem Atem

In diesen Tagen wird Köln wieder Austragungsort einer Handball Weltmeisterschaft sein. Auch die Sportsendungen von ARD und ZDF werden von dieser in großer Breite berichten. Dies ist aber nur auf den ersten Blick ein Grund zur Freude.

Die Übertragung einer Heim-WM sollte nicht die Ausnahme sein, die man euphorisch feiert, sondern die Regel. Weder Eishockey, noch Handball oder Basketball sind in Deutschland so klein, wie sie durch einen solchen untereinander ausgetragenen Wettbewerb gemacht werden. Vielmehr werden die Sportarten gegeneinander ausgespielt. Ergänzt wird diese Rochade um einzelne Sportarten, die – aus welchen Gründen auch immer – kurzzeitig boomen.

Es bedarf nicht einmal einem geschärften Blick um zu erkennen, dass der Tennissport etwa nach den Jubeljahren rund um Graf und Becker recht kalt fallengelassen wurde. “Wenn Matthias Steiner an die Hantel geht, ist das Fernsehen da”, so kommentiert Klaus Umbach, Präsident der deutschen Gewichtheber, dieses Prinzip: “Kleine Sportarten werden fast nicht mehr rübergebracht. Man kommt nur noch ins Fernsehen, wenn man ein Zugpferd hat.” Er sagte dies, als Steiner noch aktuell war. Wann haben Sie nach dessen Rücktritt das letzte Mal Gewichtheben im TV gesehen?

Dass mit Angelique Kerber ein neuer Stern am deutschen Tennis-Firmament aufgegangen ist, ist nicht im Entferntesten den öffentlich-rechtlichen Sendern zu verdanken, sondern reiner Zufall. Eben jener Zufall, der das deutsche Eishockey durch Motivation, Kampf und auch günstiges Schicksal auf den versilberten zweiten Platz der Olympischen Winterspiele gehoben hat.

Wie schnell man kein Held mehr ist, musste Moritz Müller und der Eishockeysport auf eine unangenehme Art lernen. Sein Frust war verständlich, denn obwohl das Wintergame an einem Samstag lag, wurde es von ARD und ZDF in der Berichterstattung ignoriert. Dabei war doch gerade der Samstag als “Wintersporttag” prädestiniert hierfür gewesen.

Es wäre die große Chance gewesen, über die “hingeworfenen Brocken” in Form von Videoschnipsel im Morgenmagazin hinaus zu kommen. Welcher potentielle Nachwuchsspieler kann schon zur Sendezeit des Morgenmagazins fernsehen?

Der zweite Teufelskreis

Verlieren Sportarten ihre Zugpferde, so verlieren sie rasch auch ihre TV-Übertragungen. Sie werden also gleich doppelt gebeutelt und müssen dann aus den Scherben neue Helden erschaffen. Dies hat mit dem Prinzip “Fördern durch Fordern” nur wenig zu tun. Sendeanstalten die einen Auftrag haben und nicht rein quotenorientiert agieren (sollten), sind in der Pflicht, einen langen Atem zu beweisen. Folgt man dieser Argumentation nicht, ist wiederum der Fußball der (einzige) Nutznießer.

Denn dieser kann schalten und walten wie er will: Egal ob Bestechung von Schiedsrichtern oder ein historisch schlechtes Abschneiden der Nationalmannschaft – eine Kürzung von Sendezeiten käme niemals in Betracht. Gleiches gilt für die Feigenblätter Wintersport und Radsport, bei denen selbst gravierendste Dopingfälle nur kurzzeitig zum Sendezeitverlust führten. Die anderen Sportarten hingegen werden am Nasenring durch die Manege gezogen und halten sich im gegenseitigen Wettkampf miteinander klein.

Oder verändern sich wunschgemäß: Zu dem Wettbewerb um Sendezeiten gehört, TV-taugliche Veränderungen vorzunehmen. Neue Wettkampfformen entwickelte etwa der Turnsport (Champions Trophy) und Biathlon (Jagd-, Staffel-, Massenstart- oder Verfolgungsrennen).

Dies hinderte die Verantwortlichen der Sendeanstalten jedoch nicht, in Gutsherrnart Liveübertragungen von eben solchen Wettkämpfen zeitnah abzusagen. Die Begründung damals: Fabian Hambüchen konnte nicht antreten. Man stelle sich vor, dass ein Fußball-Länderspiel kurzfristig aus dem Sendeplan genommen würde, weil sich Toni Kroos verletzt hat.

Als Spektakel dürfen auch die “Wintersporttage” von ARD und ZDF gelten, an denen annähernd einen halben Tag lang diverse Wintersportarten terminlich abgestimmt am Stück übertragen werden. Grundsätzlich ist es nicht verwerflich, wenn Sportarten althergebrachte Modi verändern, um spannender, attraktiver und somit vielleicht auch TV-tauglicher zu werden. Doch dies hat Grenzen, worauf selbst SWR-Sportchef Antwerpes bereits 2011 verwies: “Sportarten dürfen sich nicht prostituieren.”

Die konsequenteste Form des Wettbewerbs “Sportart gegen Sportart” produziert nun ausgerechnet ein Eishockey-relevantes Novum. Nach Bewerbung setzten sich Eishockey-Clubs der Regionalliga Ost (!) gegen die Konkurrenz (“Egal ob Fußball-, Eishockey-, Tischtennis-, Volleyball-, Kegel-, Handball-, Judo-, Karate-, Wasserball- oder Hockey-Verein”) durch. Die Übertragung des Derbys Bombers Bad Muskau und Tornado Niesky erfolgt durch den MDR Livestream.

Alternative übertragbar? Der goldene Weg des Football

Der Blick nach rechts und links ist lehrreich, aber nicht immer hilfreich. Der bemerkenswerte Siegeszug des American Football in Deutschland muss zum Beispiel differenziert betrachtet werden. Der Football wird hier in einem frischen Rahmen mit gut produzierten Bildern und viel Action übertragen. Er bindet die Fans ein und funktioniert sicherlich auch aufgrund der guten Moderatoren und Kommentatoren.

Doch sehen wir hier Football der NFL, was sich in der makellosen Qualität der Bilder, aber auch des Spiels niederschlägt. Der Super Bowl ist in den letzten Jahren ein Event, das medial auf sehr vielen Ebenen reflektiert wird. Über das Event als Zugpferd wurde innerhalb weniger Jahren eine Liga promotet. Über die Liga hingegen wurde eine ganze Sportart transportiert.

Selbstverständlich, dass hier mit viel Liebe zum Detail “Storys” über Spieler erzählt wurden, die dem Sport mit seinen riesigen Kadern “ein Gesicht” gab. Ein neuer Big Player wurde geboren. Denn: Wenn man darüber diskutiert, welche Sportart die “Nummer 2” nach dem Fußball sei, ist Football nun ebenfalls mit im Topf.

Diese Frage an sich ist nicht auflösbar, denn sie basiert auf den gewählten Indikatoren. Legt man hierfür die Zahl der aktiven Spieler, der Vereine, der Fans in den Stadien oder der Fans vor dem TV zugrunde? Eine rhetorische Frage, denn jede Sportart legt die Zahlen so zurecht, wie es ihr selber gerade passt. Dass sich der Football an der Diskussion nicht beteiligt und “einfach” enorm starke Zahlen präsentiert, ist auch eine Fußnote wert.

Es ist eine ähnliche Entwicklung, wie jene, die der Basketball in den 1990er Jahren durch das DSF und die Chicago Bulls um Michael Jordan genommen hatte. Auffällig für das Eishockey ist vor allem, dass das Eishockey und die NHL bisher nie eine vergleichbare Sogwirkung entfalten konnten und von den Sportsendern stiefmütterlich behandelt werden. Dass die Sogwirkung des Football nicht übertragbar ist, musste etwa auch das Rugby feststellen, das auf Pro7 enttäuschte – weil es weder die Hochglanzbilder, noch die Zugpferde des Football hatte.

Das deutsche Eishockey muss also ohne ein solches Zugpferd auskommen. Vereinzelte NHL Spiele im Free-TV sind kaum geeignet eine solche Sogwirkung zu entwickeln. Auch schafft es das Eishockey trotz aller Bemühungen nicht oder nicht genug, “Stories” zu erzählen und Gesichter zu schaffen. Eines der wenigen Gesichter der DEL ist wiederum Moritz Müller.

Erklärungen und die, die Erklärungen gelten lassen

Dass Müller ein “Gesicht” ist, kann man – mit bittersüßer Mine – daran festmachen, dass über seine Kritik am ZDF breiter berichtet wurde, als über das Event selber. Klappern gehört zum Geschäft, aber es ist doch sehr auffällig, dass viele Medien, die den Eishockeysport selber kaum ernst nehmen, gerne auf den Zug aufsprangen und über Müllers Kritik berichten.

Gleichzeitig akzeptieren diese Medien aber auch die Erklärungen, die geliefert werden – in diesem Fall und in den zahllosen weiteren Fällen. Bereits überaus routiniert kommen die Antworten von ARD auf ZDF auf Kritik – sie hatten genug Fälle, um diese einzuüben. Der Express fragt immerhin zurecht: “Warum wurde der Beitrag dann nicht wenigstens beim Onlineauftritt des ZDF gezeigt?”

Wohin führt der Weg?

2011 markierte in der Diskussion eine Zäsur, weil letztmalig viele Verbände und viele bedeutende Sportler zeitgleich protestierten. Nachdem die Kritik der Randsportarten von ARD und ZDF abgeschmettert werden konnte, erhoben sich nur noch vereinzelt Stimmen. Diese dafür aber umso aggressiver, da resignierter. Auch Müllers Aussage fällt in diese Kategorie.

Es war das unsanfte Erwachen aus dem Traum der Silbermedaille von 2018 und dem medialen Feedback, welche die Mannschaft ereilte. Wer einmal vom Honigtopf gekostet hat, dem fällt es schwer, wieder zurückzustecken. Die Entscheidung des ZDF brachte Müller unsanft auf den Boden der neuen und zugleich alten Wirklichkeit, in der der „Hype“ schon wieder vorbei ist und Eishockey unter „ferner lief“ abgetan wird.

Die Mechanismen sind bekannt, auch der Politik. So analysierte die Vorsitzende im Bundestagssportausschuss Dagmar Freitag (SPD) korrekt: „Unstreitig ist Fußball die Sportart, der es mühelos gelingt, Millionen Sportfans vor den Bildschirmen zu versammeln. Insofern lässt sich die dominierende Rolle des Fußballs erklären.“ Doch dass auch andere Sportarten hätten „durchaus das Potenzial (…), Zuschauer zu begeistern, belegen die erzielten Reichweiten bei der Übertragung von Olympischen Spielen“.

2015 wird sie deutlicher: „Dass einige Sportarten gar nicht oder zunehmend weniger im Fernsehen auftauchen, andere jedoch in epischer Inszenierung viel Sendezeit bekommen, widerspricht dem Auftrag von ARD und ZDF.“ Dass das aktuelle Konzept trotzdem unangetastet bleibt, ist auch der umkonkreten Formulierung des Auftrags geschuldet: “Da sind wir bei der vielzitierten Grundversorgung: Information, Bildung, Unterhaltung. Konkret definiert ist das nicht. Die Grundversorgung im Sport liegt immer im Ermessen einer Redaktion”, so SWR-Sportchef Antwerpes im Jahr 2011.

Folgende Initiativen wirken verloren, harmlos und ohnmächtig, wie etwa, als eine Petition aus dem Hockey rund 7500 Stimmen für mehr TV-Präsenz einsammelte.

Eine Lösung kann nicht mehr in eindimensionalem, sportartenzentriertem Denken erfolgen. Statt in immer neuen Runden auszuloten, wer „die Sportart Nummer zwei nach dem Fußball“ sei, kann es nur darum gehen, sich zu einen und gemeinsam Druck aufzubauen. Die Gründung der „Initiative Profisport Deutschland“ könnte ein erster Schritt gewesen sein.

Schluss mit selbsterfüllenden Prophezeiungen 

Wenn Axel Balkausky (ARD-Sportkoordinator) erklärt, man könne “ja nicht nur ausschließlich für Minderheiten senden, sondern wir senden ein Programm, das ja ein Vollprogramm ist und das sich eigentlich an alle richtet“, dann muss man diese Masse generieren und darf nicht (mehr) aufsplittert agieren. Die im Stile einer selbsterfüllenden Prophezeiung verlangte Menge an Menschen kann nicht durch einzelne Sportarten, sondern nur durch die Breite erreicht werden. Alles andere ist nur ein unrealistischer Traum, der von ARD und ZDF geschickt ausgenutzt wird.

Politisch müssen Strukturen aufgebrochen werden, die das Bestehende zementieren. Wenn seit 2013 ein allgemeines Werbeverbot gilt, als Ausnahmen aber “ausgerechnet die Olympische Spiele und Fußball” gesponsert werden dürfen, dann ist das in der Tat ein “Treppenwitz” (Rainer Brechtken, damals Deutscher Turner-Bund). Wenn dann aber mit dem Argument “nicht finanzierbar” die Übertragung anderer Veranstaltungen abgelehnt wird, dann darf man dies nicht auf sich beruhen lassen.

Ein TV-Format, welches zu einer attraktiven Sendezeit Fans des Schwimmsports, des Turnens oder der Leichtathletik ebenso gucken könnten, wie Fans des Handballs, des Basketballs, des Footballs, des Volleyballs, des Tennis oder des Eishockeys, würde eine entsprechende Quote bringen. Gleichzeitig würde die Pluralität des Sports abgedeckt werden und die Sender ihren Auftrag erfüllen. “Was mir fehlt, ist eine Sendestrecke, bei der ich nicht nur Fußball sehe, sondern eine Zusammenfassung, was sonst los war im Sport“, so Rainer Brechtken, bis 2016 Präsident des Deutschen Turner-Bundes.

Man könnte dieses Format beispielsweise „Sportschau“ nennen.

 

In welcher Form sollten ARD und ZDF deiner Meinung nach Sport übertragen?

Über den Autor: René Guzmán

René hat Haimspiel.de 2003 zusammen mit Dennis gegründet. Mit Tobias hat er die allererste Radioübertragung aus Iserlohn gesendet. Er war Mitglied des Vorstandes des KEC "Die Haie" e.V., 2010 war er an der Organisation der Ausstellung "Powerplay - Eishockey in Köln" zur Eishockey-WM im Deutschen Sport und Olympia-Museum beteiligt, hat seine Staatsexamensarbeit zum Thema "Eishockey in Deutschland bis 1945" verfasst und z.B. das "Wir sind Haie!"-Logo und das Logo des Haie-Fanprojekts entworfen.

Vorheriger Artikel

Fotostrecke zum DEL WINTERGAME 2019

10 Kommentare

  1. Sebastian Schatz
    18.01.2019

    Top 🔝 🙌 Danke für diesen essentiellen und top geschriebenen Artikel! LG

  2. Marko Poschen
    18.01.2019

    Da keine Politische Korrektur zu erwarten ist, bleibt als Lösung nur ein gemeinsamer Streik aller anderen Sportarten einschließlich Wintersportarten, Radfahren, Olympia etc..
    Wenn ARD und ZDF dann plötzlich gar nichts anderes mehr haben werden Sie von alleine wach werden.
    Das bedeutet allerdings für den Zuschauer auch 1-2 Jahre totaler Verzicht auf Sport im öffentlich-rechtlichen TV.

  3. Dirk
    18.01.2019

    Die Kritik von Moritz Müller ist richtig.Bin da voll bei ihm auch bei Haimspiel.Jedoch geht’s mir auf die Nerven das man sich selber Mal nicht kritisch hinterfragt.Seine Aussage es war schön für uns dabei zu sein nach dem Spiel da stellen sich mir die Nackenhaare hoch.Lieber Moritz,eure Einstellung zu Derbys ist seit Jahren unterstes Niveau,es ist wie jedes andere Spiel anscheinend.Bei der DEG merkt man das Sie Haie schlagen wollen.Bei euch?Sorry überhaupt nicht.Euch spielen zu sehen ist oft so schrecklich das ihr froh sein solltet nicht im Comedy Kanal zu laufen.Die Kritik am Deutschen TV ist 1000% zurecht.Doch genauso kritisch sollten die Haie Mal mit sich und ihren Leistungen umgehen.

  4. Mike
    18.01.2019

    Eine Berichterstattung die mich nachdenklich macht….ja, was wird aus dem Geld was ich an die GEZ zahle.
    Allerdings geht es ausschließlich um visuelle Medien, denn regelmäßig wenn wir aus der Arena nach einem Heimspiel heimwärts fahren, hören wir bei WDR 2 was vom Spiel….und während der Playoffs auch mal ausführlicher.
    Seit dem ich mein erstes Eishockeyspiel hautnah miterlebt habe, ist Fußball für mich zur absoluten Nebensache geworden, weil ja eh immer nur so‘n Verein aus dem Süden Meister wird.klar hab ich auch Sky…mit Bundesliga und Champions Liga und und und…..nur wegen meiner Frau, am wichtigsten für mich ist allerdings der Sport auf dem Eis, und wenn dann mal so ein top Spektakel wie ein Winter Game stattfindet sollte es wirklich auch im öffentlich rechtlichen zumindest mit einer Zusammenfassung von vorn bis hinten erwähnt werden, sonnst sonst können es ja wirklich nur Eishockey interessierte wissen was das ein tolles Sportereignis ist.
    Danke für den guten aber nachdenklich machen Bericht

  5. Bernd Haake
    19.01.2019

    Das ist eine hervorragende Situationsanalyse.
    Kommt dies aber bei den Verantwortlichen
    an?

  6. W J
    19.01.2019

    Hi Rene sein sehr guter Bericht.
    Frage mich auch oft wozu ich GEZ zahle, wenn es bei ARD und ZDF auch nur um die Quote geht. .

  7. Christian
    19.01.2019

    Jetzt sieht man live im TV , was die Arena für ne Stimmung machen kann.
    Und warum ? Weil die deutsche Handballmannschaft das Puplikum abholt und das wünsche ich mir seid Jahren bei den Haien.
    Zum Thema!
    1. Servus TV hat gezeigt wie man Eishockey präsentiert . 1 Spiel pro Woche im Free TV und die Playoffs in Konferenz und man hat nichts verpasst.
    2. Sport 1 zeigt 1 Spiel pro Woche und letztes Jahr im Finale der Hammer ! Da zeigen die in der entscheidende Phase Volleyball. Einen Sport der bestimmt nicht die Massen zieht wie Eishockey anzieht. Dann der Hinweis auf Sport 1 plus.
    3. Nicht jeder kann oder will das Pay TV unterstützen ! Sport 1 Plus, Telekom und dann ein wenig Sport 1 im Free TV.
    4. Warum nicht auf WDR Eishockey ? Schließlich zeigen die auch die dritte Liga jeden Samstag und Deutschland weit komplett jede Region ihre Spiele ihrer Mannschaft und das alles im Free TV. MDR, NDR, WDR und und und. Könnte man mit Eishockey auch tun.
    5. Man muss das Ziel haben bei den Haien, die Arena im Schnitt mit 15.000 zu füllen.
    Das funktioniert nur, wenn es ein Erlebniss für klein und groß ist! Mehr Aktion drum herum, die Fans müssen richtig Alarm machen und nicht nur 3 verschiedene Lieder singen. Mit dem Hai im Logo hat man ohne Ende Möglichkeiten etwas geiles aufzubauen. Jedes Spiel muss etwas besonderes sein! Laser Show, die Fans mit einbinden, Stimmungsvolle Musik und nicht so ein HANAK Fanlied wo man einschläft.
    Die Halle muss vor einem Spiel schon brennen.
    6. Der Gegner muss richtig Respekt haben vor der Kulisse und schon nervös sein. Die Spieler von uns müssen ausstrahlen, das nichts zu holen ist.
    7. Spieler die bei uns waren, sind woanders wieder Top und Leute die Top sind und zu uns kommen, sind auf einmal ein Flop.
    8. Wie gesagt! Bin öfters in der Sharkzone und wirklich immer entsetzt, wie die Verantwortlichen sich und die Lage falsch einschätzen.
    9. Es wird viel Geld liegen gelassen und ich verstehe nicht warum man dort nicht ansetzt.
    10. Wo sitzen so viele Fernseh Firmen ? In Köln und wenn mal einer Eier hätte, würden sie sich trauen Eishockey zu senden.
    Das letzte!
    Football lief mal Jahre lang im öffentlichen Fernsehen! ZDF und ARD .
    Und wenn man jetzt sieht was Sat 1 und Pro 7 draus gemacht haben ! RESPEKT
    Sowas würde mit Eishockey auch gehen man muss sich nur trauen.

  8. Alexander
    20.01.2019

    Wie der WDR wo Dieter Horky (ehemaliger Haie Torwart und Hai Zeichner) Mitglied im WDR Rundfunkrat ist so wenig Eishockey zeigt ist mir ein Rätsel.

  9. Fabian
    22.01.2019

    Ein Artikel, der zu diesem Thema in dieser Tiefe seinesgleichen sucht und in dieser Qualität und Ausführlichkeit im Netz der 30-Sekunden-Aufmerksamkeitsspannen generell selten ist. Top!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.