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Playoff-Analyse, Teil 1: System in der Defensivzone

Bevor die Haie in die neue Saison starten werfen wir nochmal einen Blick zurück auf die letzten Playoffs. Daniel Weinberger vom statistischen Analyse-Blog 5plusspieldauer.com hat sich die Playoff-Spiele der Haie nochmal angesehen und händisch getrackt. Die Ergebnisse präsentiert er hier auf haimspiel.de in einem dreiteiligen Gastbeitrag.

Nach enttäuschenden Ergebnissen unter Niklas Sundblad wurde Cory Clouston letzte Saison als neuer Haietrainer vorgestellt. Dank einem überragenden Gustaf Wesslau schafften es die Haie unter ihm dann nicht nur in die Pre-Playoffs, sondern auch an den enttäuschenden Adlern und den Eisbären vorbei ins Halbfinale. Soweit, so gut. Clouston hat die Haie klar besser gemacht, nur weiter so, oder? Nicht ganz. Zwar hat Clouston zweifelsohne bessere Arbeit geleistet als Sundblad, aber so wirklich überzeugt bin ich von ihm trotzdem noch nicht. Es bestätigt sich immer wieder, dass die besten Teams die Teams sind, die das Spiel dominieren. Mannschaften können durch sehr gute Torhüterleistungen und Scheibenglück durchaus “über ihren Verhältnissen” spielen, aber langfristiger Erfolg ist in den allermeisten Fällen den Mannschaften vorbehalten, die mehr Schüsse abgeben und sich mehr Chancen herausspielen als der Gegner. Die besten Mannschaften der drei letzten Saisons diesbezüglich?

  • 2015/16: Red Bull München, Schussverhältnis 56.9%, verdient Meister
  • 2014/15: Adler Mannheim, Schussverhältnis 59.0%, verdient Meister
  • 2013/14: Kölner Haie, Schussverhältnis 55.7%, denkbar knapp am Meistertitel vorbeigeschrammt

Die Haie letzte Saison unter Cory Clouston? 45.0%

Um die genauen Gründe für das schlechte Schussverhältnis der Haie zu finden, habe ich mir die im Fernsehen übertragenen Playoffspiele nochmal angeschaut und dabei aufgezeichnet, wie die Haie (und ihre Gegner) den Puck aus dem eigenen Drittel und ins gegnerische Drittel bringen. Eine Einführung zu diesem Thema ist hier zu finden: http://www.5plusspieldauer.com/blog/2014/6/5/zone-entries-exits

Nach dem Betrachten der Spiele und der Analyse der Daten habe ich mir in drei konkreten Einzelbereichen der Taktik jeweils ein Beispiel gesucht, das ich verändern würde, um das Chancenverhältnis der Haie etwas aufzubessern:

Probleme mit dem Kollaps

Das Defensivzonensystem der Haie basiert(e) hauptsächlich darauf, den Gegner in den äußeren Bereichen des Defensivdrittels zu halten. Gemacht wird das, in dem man, solange der Puck nicht an der Blauen Linie ist, sämtliche Verteidiger unter die Bullykreise zieht, um dort Überzahl zu schaffen und den Slot dicht zu machen – die Spieler “kollabieren” Richtung Grundlinie/eigenes Tor. Wird der Puck an die blaue Linie gespielt ziehen die beiden Flügel hoch um den Spieler im Puckbesitz anzugreifen und dem gegnerischen Verteidiger die Schusslinie zuzustellen.

In den folgenden Screenshots ist schön zu sehen wie sich alle fünf Haie unterhalb der Bullykreise befinden.

Grundsätzlich funktionierte das ganze auch nicht schlecht. Die Haie vermochten es durchaus, dem Gegner den Slot teilweise zuzustellen. Das Problem an der konkreten Umsetzung der Haie lag nun darin, dass sie durch ihre Tornähe deutlich zu langsam waren, wenn es darum ging, selbst an den Puck zu kommen. Es geht mir hier nichtmal um das “Zweikampfverhalten” – die Münchner Reihe um Mauer/Kahun/Christensen hat die Haie regelmässig schwindlig gespielt und die drei wird keiner mit Power Forwards verwechseln – sondern mehr darum, dass die Haie häufig zu langsam in den Ecken/an der Bande waren, um lose Scheiben zu holen.

In Zahlen: Die Haie hatten in 488 gegnerischen Angriffen 319 Mal die Gelegenheit, nach einem Schuss selbst in Scheibenbesitz zu kommen und den Puck aus der Zone zu befördern. 98 Mal konnte der Gegner aber erneut einen Schuss abgeben, ohne dass der Puck das Haiedrittel verlassen hat. Das ist eine Rate von ca. 31% und damit unheimlich hoch. Zum Vergleich: Die Haie selbst hatten in ihren 402 Angriffen 173 Chancen, sich im gegnerischen Drittel einen Rebound zu schnappen, schafften es aber nur 37 Mal, erneut aufs Tor zu schiessen. Das macht 21.4% und ist damit ein durchschnittlicher Wert (die meisten Teams schwanken zwischen 20% und 24%).
Und wenn man dem Gegner viele Chancen gibt, die Scheibe immer wieder zu erobern und erneut eine Chance herauszuspielen, entstehen nunmal Chancen:

Das zweite Problem, das der Kollaps den Haien bringt, ist, dass durch die tiefe Positionierung der Spieler der Spielaufbau gehemmt wird. Normalerweise teilen sich Stürmer und Verteidiger die Arbeit im Spielaufbau recht fair. Bei den Haien liegt diese Verantwortung allerdings überproportional auf den Stürmern. Die Stürmer der Haie beförderten die Scheibe 272 Mal aus dem eigenen Drittel, die Verteidiger 179 Mal. Wie bereits erwähnt, sind diese Werte normalerweise in etwa gleich gross. Aber durch die tiefe Positionierung kommen die Stürmer tiefer im eigenen Drittel in Scheibenbesitz und haben weniger Anspielmöglichkeiten nach vorne. Das heisst, dass die Spieler entweder

  • ohne gute Unterstützung nach vorne preschen müssen
  • auf Unterstützungen warten/abdrehen müssen, wodurch sie dem Gegner mehr als genug Zeit zur Positionierung in der neutralen Zone (NZ) geben
  • die Scheibe einfach stumpf aus dem Drittel hauen müssen

Daher ist der Spielaufbau der Haie einfach weniger effektiv als bei ihren Gegnern. Die Haie kamen zu 53% mit Scheibenbesitz aus dem eigenen Drittel, ihre Gegner zu 66%. Das erklärt meiner Meinung nach auch, warum Gogulla/Hager/Salmonsson die einzige wirklich effektive Reihe der Haie war. Die drei können dieses Defizit mit ihrer Geschwindigkeit und ihrem Spielwitz wettmachen. Man kann natürlich auch ohne 4 solche Reihen einen erfolgreichen Spielaufbau spielen, aber dann müssen die Verteidiger eine grössere Rolle übernehmen.
Ich weiss nicht, ob Cory Clouston vorhat, dieses System auch in der kommenden Spielzeit spielen zu lassen, oder ob er das nur letzte Saison implementiert hat, mit dem Hintergedanken, möglichst schnell “Ordnung” in die defensive Zone (DZ) der Haie zu bringen. Eventuell lässt er es auch einfach aggressiver spielen, um schneller Zugriff auf den Puck zu bekommen und den Weg in und durch die NZ für die Stürmer einfacher zu machen. Irgendetwas muss sich hier meiner Meinung nach aber ändern.

Alles klar soweit oder habt ihr noch Fragen? Dann schreibt sie in die Kommentare, Daniel schaut immer mal wieder vorbei und beantwortet sie euch dann gerne. Morgen geht es dann weiter mit dem zweiten Teil der Analyse.

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5:1-Sieg gegen Japan vor Heim-Publikum

6 Kommentare

  1. LInsoDeTeh
    30.08.2016

    Schöne Analyse, gefällt mir. Ich denke, Clouston hat in der letzten Saison noch gerettet, was zu retten war. Auf die Schnelle wurde ein neues System etabliert, das wesentlich besser war, als das von Sundblad. Dass man ohne eine komplette Saison/Saisonvorbereitung dieses System nur in seinen einfachsten Ausprägungen aufstellen kann, ist auch klar. Die Angreifer auf die Außenbahnen zu zwingen und damit die Qualität der gegnerischen Schusspositionen deutlich zu verringern, hat auf jeden Fall zwei Probleme, die es unter Sundblad noch gab, entfernt: Viele Gegentore in kurzer Zeit (Straubing 0:5 in 8 Minuten, anyone?), sowie Verspielen von Führungen mit 2 Toren. Natürlich fehlen dem System viele fortgeschrittene Dinge, unter anderem sichere und schnelle Aufbaupässe, aber bereits die einfache Version hat die Defensive im Vergleich zu Sundblad bereits deutlich gestärkt.
    Zudem ist Clouston wesentliche psychologische Aspekte richtig angegangen. Das Team hatte Selbstvertrauen und die teils 10-15-minütigen Kollapse nach Gegentoren, die es vorher noch gab, blieben aus. Der Mann kann also auf jeden Fall richtig motivieren.

    Jetzt hat Clouston eine ganze Saisonvorbereitung. So wie das Training bisher aussieht, wird sehr viel Wert auf einen schnellen Spielaufbau gelegt. Das Grundsystem aus dem letzten Jahr, das bereits vieles richtig macht, erweitert um die vielen fortgeschritteneren Dinge, für die letztes Jahr keine Zeit war.

    Desweiteren haben wir dieses Jahr den Luxus, dass die Bank sehr viel länger ist, als letztes Jahr. Das hilft zum Einen zum Überbrücken von Verletzungsphasen, zum Anderen ist auch der Konkurrenzdruck, den Clouston im Team erzeugt, höher, was wiederum die Leistung erhöht, gegenüber einem “ich spiele ja sowieso” System von Sundblad, der ewig und drei Tage das gleiche macht, nur “noch härter”.

    Ich bin jedenfalls guter Dinge, und habe von Clouston einen super Eindruck. Viele Kleinigkeiten, die man bei anderen DEL Coaches nicht so sieht, passen da einfach. Z.B. macht er Gebraucht vom Heimrecht des späteren Wechsels, und man hat das Gefühl, wenn das “Plan A” System mal ein Spiel nicht funktioniert, hat er auch noch einen Plan B, C und D. Ich freue mich auf jeden Fall auf die neue Saison!

  2. Man.U
    30.08.2016

    Ich kann mich da LInsoDeTeh im Wesentlichen anschliessen.

    Als Clouston den Trainerjob übernommen hat, herrschte defensiv weitgehend Chaos und kaum eine Struktur. Viele Spieler haben in der eigenen Zone mehr oder weniger das gespielt, was sie in der jeweiligen Situation für richtig hielten – unabhängig von den Vorgaben. Zu viel taktischer Freiraum war auch m. M. n. eines der Hauptprobleme unter Sundblad. Das klang auch so in dem ein oder anderen Interview zwischen den Zeilen durch.

    Clouston hat dann seinen Job unter enormen Zeitdruck angetreten und ihm blieb letztendlich nichts anderes übrig, als einen „reset“ durchzuführen und zu den absoluten Basics zurückzukehren. Ryan Jones hat es ja auch ziemlich deutlich gemacht in seinem letzten Haimspiel-Interview: Es wurde auf ein System umgestellt, mit dem in Kanada jeder Schüler groß wird. Einfacher in seiner Anlage als dieses System ging es also kaum. Damit wollte Clouston in ersten Linie sicherlich zwei Sachen bezwecken: Erstens sollte eine defensive Grundstruktur geschaffen werden, die für jeden Spieler leicht und damit schnell umsetzbar ist, um die Flut von Gegentoren (in kurzer Zeit) einzudämmen und zweitens wurde durch das bessere Defensivverhalten mit weniger Rückschlägen das Selbstvertrauen der Spieler wieder aufgebaut. Das war zu dem Zeitpunkt nämlich sichtlich angeschlagen.
    Von daher würde ich Cloustons Taktik auch in den Playoffs noch unter erweiterter „Erste Hilfe“ verbuchen, gerade weil seit seiner Amtsübernahme einfach zu wenig Zeit blieb, um mal gezielt und längerfristig am System zu arbeiten. Dazu kam noch die Vielzahl an Verletzungen, die das nicht gerade erleichtert haben.

    Clouston selbst hat die Entwicklung mal mit einer Schullaufbahn von der ersten bis zur zwölften Klasse verglichen, die man aber in nur zwei Jahren absolvieren muss.
    Von daher gehe ich davon aus, dass taktische Schwachstellen analysiert wurden und in der Preseason dementsprechend weiter am System gearbeitet und dieses angepasst bzw. erweitert wird. Das Training zum schnellen Umschaltspiel zB. deutet ja schon etwas darauf hin.

    Ansonsten natürlich eine klasse Analyse! Ich freu mich jetzt schon auf die beiden weiteren Teile.

  3. guenthas
    30.08.2016

    Interessante Analyse, die die Schwächen des Systems aufzeigt. Es macht noch einmal deutlich, warum die beiden Sturmreihen (HaGoSa und Mauer/Christensen/Kahun) so auffällig waren, München aber letztendlich verdient gewonnen hat. Bezogen auf diese Saison bestärkt es mich aber darin, in den Neuzugängen noch keine Lösung für das Problem zu sehen – nur ein neuer Verteidiger und Stürmer, die vor allem durch Kampfstärke und Giftigkeit glänzen. Nach den aktuelllen Aussagen soll die Scheibe ja vor allen von den Mittelstürmern (da haben wir in der Tat viele) durch die Mitte aus dem Drittel befördert werden. Das wird vermutlich auf ein klassisches tief spielen und die Scheibe dann neu erobern hinauslaufen. Ob das gegen spielstarke Gegner wie das verbesserte Mannheim und München reichen wird, wird man sehen.

  4. Traumpass
    30.08.2016

    Bevor es wieder losgeht, noch ein detaillierter Blick zurück, sehr schön, gefällt mir! Und wahrscheinlich noch eine Mordsarbeit.

    Clouston hatte ja vor seiner Vertragsunterschrift schon einige Spiele der Sundblad-Haie auf Video gesehen und somit schon einen grundsätzlichen Eindruck von dem, was ihn hier außer einem Blick auf die Domtürme erwarten würde. Und da dürften ihm die Haare ziemlich zu Berge gestanden haben, sonst hätte er diesen gestandenen Hockey-Spielern nicht dieses extreme ‘plain & simple’-System als Konsolidierungsmaßnahme verordnet. Er musste kurzfristigen Erfolg erzielen und sich dafür mit dem defensiv total verunsicherten (und vielleicht auch schon partiell zerstrittenen?) Team schnell auf einen Nenner einigen, den jeder versteht. Dass er hier mit dem Renommee eines ehemaligen NHL Trainers angekommen ist, war an der Stelle sicher auch sehr hilfreich, denn Sundblad war sein Defensivsystem dann endgültig um die Ohren geflogen, als Wesslau den ‘god mode’ nicht mehr halten konnte und einzelne Spieler mit den dann zahlreicher werdenden Niederlagen das Vertrauen in des Trainers Defensivvorschriften verloren hatten und scheinbar vom Instinkt gesteuert ihr eigenes Kringel-Ding drehten, Stichworte verloren gegangene taktische Disziplin und mangelhafter Team-Spirit. Und als Sundblad keine echten Sanktionen gegen einzelne Spieler verhängen wollte, warum auch immer, war er schlicht am Ende.

    Das Umschaltspiel nach Puck-Eroberung ist auf jeden Fall einer der Punkte, auf die ich in der neuen Saison sehr neugierig bin. Auch ‘hohes Tempo’ bzw. ‘schnelles Hockey’ wurde in den vergangenen Jahren oft vor der Saison versprochen, es wäre schön, wenn man dies jetzt auch einmal als Kernelement der Leistungsfähigkeit des Teams in der heimischen Arena zu sehen bekommen würde..

    Ich bin gespannt auf Teil 2 morgen.

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