Vom 29.01. bis zum 31.03.2015 wird der FIlm “Red Army” in der Filmpalette Köln gezeigt. Viele interessante Informationen und Fotos findet ihr auf der offiziellen Film-Homepage und bei Hockeyweb.de. Haimspiel.de konnte den Film bereits gestern in einer Preview anschauen.
Es gibt drei gute Gründe, um „Red Army“ im Kino zu gucken.
Erstens ist es ein unterhaltsamer Eishockeyfilm, eine eher rare Spezies und es müssen schon Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen, um einen solchen im Kino sehen zu können. Viele historische Spielszenen (u.a. vom berühmten “Miracle on Ice” der Olympischen Winterspiele 1980 in Lake Placid) sind ebenso sehenswert, wie der beißende Humor „Slawa“ Fetissows gegenüber dem Filmemacher Gabe Polsky oder die Witze der Spieler über Trainer Tichonow, der sein Amt mit absolutistischer Machtfülle ausübte und die den Spielern halfen, die Torturen des Trainingsalltags durchzustehen. Ein Beispiel: „Wenn ich einmal ein Spenderherz benötigen sollte, dann bitte ich um das von Tichonow. Es ist wie neu, er hat seines noch nie benutzt.“
Der Zuschauer wird anhand der Biografie Fetissows über die Folgen der Entscheidung des Politbüros, Eishockey zum Volkssport zu machen und folgend den Erfolg mit allen finanziellen und strukturellen Maßnahmen zu erzwingen, für die Entwicklung des sowjetischen Eishockeys seit Ende der 50er Jahre anschaulich informiert. Die Erhebung des Eishockeys zur Kunstform, welche – wortwörtlich – Anleihen beim russischen Ballett-Training ebenso annahm, wie die totale Vereinnahmung der Spieler in einem bis auf ein Telefon (!) vollkommen von der Außenwelt abgeschirmten Dauer-Trainingslager während elf von zwölf Monaten des Jahres (!) in einer Kaserne. 36 freie Tage im Jahr, in denen man die Kaserne verlassen und in der Heimat Frauen und Kinder sehen durfte, wurden den Spielern zugestanden. Die Früchte der regulär vier Trainingseinheiten pro Tag (!) belegen eindrucksvoll und sorgsam ausgesuchte Spielszenen und Interviews, etwa solche, in denen sich Wayne Gretzky – bis heute das non plus ultra eines Eishockeyspielers – aufgrund der absurden Unterlegenheit der eigenen Mannschaft gegenüber den Sowjets und der eigenen Unfähigkeit hieran auch nur das Geringste ändern zu können vor der Kamera völlig aufgelöst und frustriert zeigte.
Auffällig ausgespart wird von dem Film das Thema Doping, welches unweigerlich zum Stellvertreterkrieg der Systeme auf dem Eis und in den Sportarenen dieser Welt gehörte.
Ein zweiter guter Grund ist die politische Dimension, welche den Film jederzeit begleitet und den Eishockeysport lediglich zum Medium erklärt. Einerseits wird deutlich, welche wertvolle Funktion die Eishockey-Nationalmannschaft im Krieg gegen das kapitalistische System für die Sowjetunion hatte. Einen überlegenen Spielstil zu kreieren, der die Ableitung erlauben sollte, die sportliche Überlegenheit wäre auf die Überlegenheit des politischen Systems zurückzuführen, war oberstes Gebot. Die “Übersetzung” der politischen Auseinandersetzung in die “Sprache Eishockey” wird in vielen, vielen Details erkennbar, etwa, wenn auf Wjatscheslaw Fetissows Trikot ein “K” statt einem “C” prangt, weil man sich bei internationalen Turnieren nicht auch nur eines einzelnen Buchstabens der Sprache des kapitalistischen Klassenfeindes bedienen wollte.
Der Film leistet aber auch eine Sensibilisierung für die demütigende Ohnmachtserfahrung von Menschen in der ehemaligen Sowjetunion im Rahmen der Perestroika, angesichts des Zerfalls des Sowjetreiches und dem Ausbluten Russlands im Verlauf der 90er Jahre. Wenn Alexander Ovechkin für das TV im Capitals-Trikot reihenweise mit russischer Sauce gefüllte Matrjoschkas zerschießen muss und die Kamera letztlich auf die im Saucenmatsch verschmierten Scherben – welch ein Sinnbild! – zoomt, dann erinnert dies – auch wenn das sicherlich eine Überspitzung ist – an die geschmacklosen, klischee-triefenden und vor allem sich selbst entlarvenden Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich, welche in historischer Perspektive an Selbsterniedrigung der vorgeführten Akteure schwerlich zu übertreffen sein dürften. Recht ähnlich dürfte sich aber auch Ovechkin in dieser absurden Situation gefühlt haben.
Es sind simple, aber beachtenswerte politische Wahrheiten, die der Film quasi nebenher wieder ins Gedächtnis ruft, wie etwa, dass alle handelnden, politisch bedeutsamen Akteure der russischen Politik der Gegenwart in der Hochphase der Sowjetunion aufwuchsen und den folgenden Niedergang hautnah miterlebten. 500 von NHL-Teams gedraftete Russen seit 1989 sind Sinnbild für den Ausverkauf Russlands, heruntergebrochen auf die Ebene des Sports. Die Politik Putins, aber auch jene des besagten Wjatscheslaw Fetissows, der 2002 von Putin zum Sportminister ernannt wurde und seitdem ein umfassendes Investitionsprogramm für den Sport ins Leben rief (Gründung der KHL, einer Juniorenliga, Neubau von 300 neuen Eishallen in Russland etc.), sind vor diesem Hintergrund als Streben nach dem, was da einst war zu verstehen und erscheinen ein Stück weit verständlicher.
Besonders bemerkenswert: Der Wunsch nach der Beendigung dieses desolaten Zustandes und der Restaurierung sowjetischer (Sport-) Macht scheint bis heute offenbar stärker zu sein, als die Wunden, die die totalitäre Vorenthaltung der Freiheit ganz konkret im Leben der Menschen – verkörpert in der Person Fetissows – verursachte. Dass gerade er, der die Schattenseiten des Systems am eigenen Leib erfahren musste, heute dennoch nach einer Renaissance strebt, macht nachdenklich.
Und diese Gedanken führen unweigerlich zum dritten Grund des Film zu gucken: die sicherlich interessanten, aber grausam anmutenden menschlichen Dramen, die hinter der nüchternen Geschichte der erfolgreichsten Nationalmannschaft während der Zeit des eisernen Vorhangs stehen.
So etwa die Geschichte des Jahrhundert-Goalies Wladislaw Tretjak, der beschreibt, dass sein Sohn ihn auf dem Höhepunkt seiner Karriere lediglich auf Fotos von Eishockeyspielen, nicht aber in real erkannte und dass er sich schließlich im Alter von 31 Jahren schlichtweg nicht mehr imstande sah, im Sowjet-System, welches den Einzelnen so gering schätzte, Eishockey zu spielen.
Oder die skurrile Manifestation des sowjetischen Kollektivismus-Ideals in Wladimir Krutovs Aussagen, der selbst in den Filmaufnahmen kurz vor seinem Tod 2012 felsenfest und ernsthaft beteuert, dass alle Mitglieder der legendären „großen Fünf“ des russischen Eishockeys jederzeit exakt gleich dachten, die exakt gleichen Hobbys und Interessen hatten und stets und aus voller Überzeugung die exakt gleiche Meinung vertraten: „Wir waren alle immer genau gleich.”
Die Wut Fetissows, als er von Tichonow entgegen wiederholter öffentlicher Aussagen und Versprechen nicht in die NHL wechseln durfte – und den Verrat, den er fühlte, als sich Larionow, Makarow und Krutow, nicht aber sein co-genialer Partner und „Bruder“ Kassatonow auf seine Seite gegen das Ministerium stellten, was zunächst mit der Folge der bitterem Ächtung und der Drangsalierung Fetissows in seinem Heimatland endete. Und die emotionsarme und unempathische Kälte des NHL-Business’, welche später Kassatonow und Fetissow verpflichteten und erwarteten, dass diese trotz jener tiefreichenden Entfremdung auf dem Eis gefälligst brillieren sollten.
„Red Army“ ist auf den ersten Blick ein Eintauchen in eine fremde, vergangene, skurrile Welt, deren ununterbrochene Abfolge absurd anmutender Anekdoten für einen bittersüßen Humor sorgen, aber auf den zweiten Blick nicht so aus der Zeit gefallen sind, wie es den Anschein haben könnte. Eine Olympia-Siegermannschaft, deren Spielern pro Kopf genau 48 Dollar Taschengeld (!) zugestanden wurde, um sich für den Olympia-Sieg zu belohnen und shoppen gehen zu dürfen oder Spieler, denen angeboten wird, in die NHL wechseln zu dürfen, wenn sie zur dringend notwendigen Devisenbeschaffung von ihrem 1.000.000 Doller Vertrag auf genau 988.000 Dollar (!) zugunsten des Staates verzichten würden, haben ihren Kern natürlich in den ganz konkreten ökonomischen Missständen der entsprechenden Zeit. Spieler, die davon berichten, wie ihnen verboten wurde, den sterbenden Vater besuchen zu dürfen, weil ein Trainingstag mehr wert sei, brechen das – Rocky IV lässt grüßen – im Westen über Jahrzehnte gepflegte Bild des emotionskalten kommunistischen Athleten, dem nichts heilig ist.
Neben diesen drei guten Gründen gibt es noch einen vierten Grund, den Film anzusehen. Lediglich in wenigen deutschen Städten trauen sich Kinos den Film auszustrahlen. Wenn man von ökonomischem Mut zum Risiko sprechen muss, dass mit der Filmpalette ein Kino in Köln den Film aufführt, dann sollten die Kölner Eishockeyfans diesen Mut belohnen und den Film ansehen.
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