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Die Probleme der Großen gegen die Kleinen

Kölner Haie gegen die DEG - Foto: Steffen Thaut

Die Ausgeglichenheit in der DEL wird so oft als Grund für überraschende Niederlagen von Top-Mannschaften gegen kleine Teams angeführt, dass es mittlerweile weitestgehend als Wahrheit akzeptiert ist. Das ist allerdings in der Realität und spätestens mit Blick auf die Gehaltslisten der einzelnen Clubs mitnichten der Fall. Genau daraus erwachsen letztendlich ja auch Erwartungshaltungen, Ansprüche und schwer einseitig gewichtete Wettquoten. Trotzdem gelingt es den niedrig budgetierten Teams in schöner Regelmäßigkeit, den Big-Playern der Liga sprichwörtlich ans Bein zu pinkeln. Wenn man – wie die Kölner Haie in den letzten Jahren – trotz großem Budget nicht im Erfolgsballett der anderen großen Clubs mitgetanzt hat, dann sorgen schon ein paar Niederlagen dieser Art für Nervosität. Und das Ende November.

Meister München scheint weitestgehend unbehelligt seine Kreise an der Tabellenspitze zu ziehen. Gerade mal sechs Niederlagen aus den bisherigen 23 Partien zeichnen das Bild eines souveränen Saisonverlaufs. Am Ende zählen natürlich nur die Punkte, aber manchmal lohnt doch ein Blick unter die oberflächlichen Zahlen. So fuhr die Mannschaft von Don Jackson drei ihrer sechs Niederlagen gegen Kellerkinder ein: 2:3 n.V. gegen Straubing, 1:2 gegen Iserlohn, 1:2 gegen Bremerhaven. Außerdem gab es zum Beispiel einen mühevollen 2:1-Sieg n.V. gegen Schwenningen.

Die Adler Mannheim haben Niederlagen gegen Krefeld, Schwenningen (ein Derby für die Adler), Straubing im Repertoire. Die Eisbären (wenn auch nicht mehr an der Spitze der Nahrungskette anzufinden, aber dennoch mit traditions-gewachsenen Ansprüchen) verloren gegen Krefeld, Bremerhaven, Iserlohn, Straubing, Augsburg. Dazwischen gab es auch mal einen spielerisch ernüchternden 1:0-Sieg auf eigenem Eis gegen Schwenningen. Die Nürnberger stolperten beispielsweise über Straubing, Bremerhaven und Schwenningen. Der finanziell gut ausgestattete ERC Ingolstadt verbuchte Niederlagen gegen Straubing, Bremerhaven, Düsseldorf (ein sattes 2:6) und Augsburg.

Bei den Kölner Haien stehen in dieser Kategorie Niederlagen gegen Schwenningen, Bremerhaven, Straubing, Düsseldorf, Krefeld und Iserlohn zu Buche – wobei Derby-Niederlagen in der rot-weißen Wahrnehmung natürlich doppelt zählen.

Es bieten sich hier zwei Interpretationsmöglichkeiten an. Entweder man nimmt die Leistungen seit der Länderspielpause als Zeichen für die Wiederholung der vergangenen beiden Spielzeiten. Guter Saisonstart, Einbruch ab Mitte/Ende November, Ausgang ungewiss. An genau dieser Stelle hören die Parallelen zu den Vorjahren allerdings schon auf. Die Rahmenbedingungen in dieser Saison sind schlicht komplett andere. Die Saison 2014/15 war gezeichnet von Schwierigkeiten auf den unterschiedlichsten Ebenen. Angefangen vom nicht wirklich konkurrenzfähigen Personal über nicht vorhandene Struktur bis zu teaminternen Querelen. In der Saison 2015/16 war man zwar personell gut aufgestellt, hatte aber mit dem eigenen, viel zu komplexen Spielsystem zu kämpfen und verlor sich als Mannschaft bis zum Trainerwechsel in Individual- statt in Team-Bemühungen auf dem Eis.

Die Rahmenbedingungen in der aktuellen Saison sind komplett andere: Ein ausbalanciertes Team sowohl in der Verteidigung als auch in den Sturmreihen sowie ein System, dass das letztjährige Harakiri-Eishockey mit solider Defensiv-Struktur und druckvollem Umschaltspiel abgelöst hat. Die Mittel und Werkzeuge für eine erfolgreiche Saison hat dieses Team also im Vergleich zu den vergangenen Jahren. Die „einzige“ Herausforderung für die Mannschaft von Cory Clouston ist es, das alles regelmäßig voll auszuschöpfen und aufs Eis zu bringen. Eine Herausforderung, an der die Haie gegen kleine Clubs in genauso schöner Regelmäßigkeit scheitern wie die anderen Top-Clubs.

Das bringt uns zur zweiten Interpretationsmöglichkeit und damit gleichzeitig zu einem Blick viel weiter zurück in die Vergangenheit. In Zeiten, als die Haie noch weit davon entfernt waren, jemals die Playoffs zu verpassen. In Zeiten, als der Respekt der anderen Clubs vor dem KEC noch ungebrochen war. In Zeiten, als man in blutleeren Spielen gegen die Duisburgs und Freiburgs der Liga verlor. In Zeiten, als die DEG noch kein Trümmerhaufen war, Derbys noch sportlich auf Augenhöhe stattfanden und nicht die Spiele im Kalender waren, die der jeweils gerade am Tabellenende dümpelnde Club rot eingekreist hatte, weil es vermutlich die einzigen Chancen im Laufe der Saison waren, den eigenen Fans ein bisschen Selbstwertgefühl zurückzugeben. Sprich: die Zeiten, als die Kölner Haie noch unbestritten und bar jeden Zweifels ein Top-Club waren, gegen den jede Mannschaft ihr A-Game gebracht hat.

Damals hat die Wut über ein überhebliches Auftreten der Mannschaft noch gerade mal exakt bis zum nächsten Spiel angehalten. Mehr Aufregung war auch nicht nötig, weil das Vertrauen in und das Wissen um die Stärke des Teams auf festen Füßen stand. Der Club selbst, die Fans – das war gelebtes Selbstbewusstsein.

Dass die letzten beiden Jahre an diesem Zustand merklich gekratzt haben, hat sicherlich großen Anteil daran, wenn nun schon im November mahnende Worte zu vernehmen sind, wenn es vermeintlich schon wieder eine Kurve zu kriegen gilt, wenn sich in einer Saison unter den aktuellen Rahmenbedingungen Nervosität breit macht, weil zwei Derbys verloren worden sind. Das trifft offensichtlich auch die Mannschaft selbst.

Haie-Goalie Gustaf Wesslau sagte im Haimspiel.de-Interview „Wir müssen lernen, ein Top-Team zu sein.“. Auch die Mannschaft selbst muss sich also erst wieder daran gewöhnen, dass sie für ihre Gegner nicht mehr als lösbare Aufgabe angesehen wird. Man wird wieder ernstgenommen und als Ansporn genutzt. Gegen die Kölner Haie zu gewinnen, ist wieder richtig was wert fürs Team-Ego des Gegners. Erstrecht wenn man Schwenningen, Bremerhaven, Straubing, Düsseldorf oder Krefeld ist. Da hast du nichts zu verlieren, denn selbst eine zweistellige Klatsche würde dir gegen den KEC niemand übel nehmen. Genauso wenig gegen München, Mannheim, Nürnberg und Ingolstadt.

Jetzt steht man nun als Kölner Haie wieder im Ballett der Großen, hat Substanz in Kader und System, absolut gerechtfertigte Ansprüche auf Erfolg und vergeigt nun also auch wieder in bester Spitzenteam-Manier Duelle gegen Underdogs. Man will sich nicht an Auftritte wie gegen Krefeld gewöhnen, aber es gehört anscheinend zum Dasein eines Top-Teams dazu, gegen Kellerkinder den Allerwertesten nicht immer ausreichend hoch zu bekommen. In diesem Punkt befinden sich die Haie in bester Gesellschaft.

Über den Autor: Henrike Wöbking

Henrike schreibt für haimspiel.de seit 2005 und wurde von Ex-NHL-Spieler Jason Marshall gelobt für "the best interview I ever did". Sie zeigte sich hauptverantwortlich für das Abschiedsvideo von Dave McLlwain. Außerdem ist sie Buchautorin und schrieb den Roman "Auf Eis" vor dem Hintergrund der Playoffs 2002.

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„Wir müssen lernen, ein Top-Team zu sein.“

2 Kommentare

  1. Jochem
    03.12.2016

    Wie immer sachlich und inhaltlich voll zutreffend! Jetzt würde ich mich freuen, wenn Henrike mal wieder am Micro auftaucht. Wünsche ihr nur, dass sie diese Saison nicht wieder die Niederlagen kommentieren muß, sondern auch mal ein paar Highlightspiele bekommt! Wir verfolgen das ab nächste Woche wieder aus unserer zweiten Heimat in Kärnten und werden dort wieder den Vergleich zum dortigen ECVSV in Villach haben. Wir zittern aber wieder am Haimspielradio bei jedem Haie Spiel mit.

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